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Radikale Akzeptanz versus Widerstand - Achtsamkeit leben

Radikale Akzeptanz versus Widerstand

Wir Menschen sind eine seltsame Spezies. Wir verbringen viel Zeit damit, die Situationen, Dinge und Menschen anders haben zu wollen als sie sind. Und wir wollen oft auch uns selbst anders haben als wir sind.
 
Wir sind im Kampfmodus mit dem gegenwärtigen Moment, wie er ist – und das häufiger als wir denken.

Du stehst in der Warteschlange. Eigentlich hast du Besseres zu tun, als die Zeit so zu verplempern, denkst du vielleicht. Oder du bist in Eile. Du beginnst, dich zu ärgern: „Kann die Kassiererin nicht etwas schneller … muss das denn sein, dass sie …!!! “, „Kann der Laden nicht eine 2. Kasse öffnen …???“ 

Und die Gedanken kreisen und schrauben dich in immer mehr Ungeduld und Ärger. Du hältst das für normal – und richtig.

Du bist krank.

Du willst nicht, dass dein Körper oder einzelne Bereiche schmerzen, dass es drückt, zieht, sticht. Dass du nicht tun kannst, was du willst. Die Gedanken fahren hoch um das „Warum ich …?“, oder „Wann ist das endlich vorbei“ – Widerstand im Körper und Geist beherrscht deine Befindlichkeit.

Dein Partner verhält sich nicht so, wie du es erwartest.

Du weißt genau, wie er hätte agieren oder reagieren müssen, damit alles gut ist. Du ärgerst dich oder du bist enttäuscht: „Wenn er doch endlich mal … dann …“. Die Frustration folgt auf dem Fuß. Nicht selten bei beiden.

Dein Job belastet dich.

Du willst einen neuen Arbeitsplatz, der dir mehr Zufriedenheit bringt. Du bist überzeugt: das Problem sind die Arbeitsbedingungen. Oder die Kollegen. Das Geld. Der Chef. Zu viele Anforderungen. „Das sollte/muss anders sein.“ „Wenn … dann …“ Du bist gegen das, was gerade ist. 

Es herrscht Krieg in Europa, in vielen Regionen der Erde.

Kaum jemand kann das wollen oder will das. Unser Köper-Geist-System antwortet mit Angst, Unbehagen, Wut, aggressivem Urteilen. Wir meinen genau zu wissen, wer der Bösewicht ist und wer nicht.

Wir verurteilen und haben Recht – so glauben wir. Das gibt uns in dem Chaos etwas Sicherheit. Wir bemerken nicht: der Krieg im Außen spiegelt den Krieg im Innern.

Und der Klassiker, allem voran: das Wetter.

Es ist zu heiß oder zu trocken, zu nass oder zu kalt, zu grau, zu windig oder die Sonne blendet unerträglich. Wie viele Gedanken und Gespräche sich um das Wetter drehen und das eigene Unbehagen damit, ist phänomenal.  

„Wir können nichts verändern, wenn wir es nicht akzeptieren. Verurteilung befreit nicht, sondern unterdrückt.“ C. G. Jung

Die Ursache im Außen zu suchen und abzulehnen was ist, ist sehr eingeschränkt und einschränkend. Diese Weise, mit Schwierigkeiten und Herausforderungen umzugehen, verstärkt das Leid und schadet uns selbst. 

Der Ärger, das Hadern, das Verurteilen, die Ungeduld, die Frustration, das Nicht-Haben-Wollen oder Anders- Haben-Wollen, der Widerstand, der Kummer – wo findet das denn statt? 

Es lohnt, dieser Frage nachzugehen – und vielleicht stellen wir fest: all das geschieht just in diesem Moment in uns! Wer ist es denn, der im Unfrieden ist mit dem gegenwärtigen Moment?

Widerstand, die Dinge anders haben zu wollen als sie sind, erzeugt Spannung und Stress im Körper- und Geist-System. Immer. Wir geraten aus der natürlichen Balance in einen Unruhezustand.

Das Fatale: Wir halten das für normal. Der ganz normale Wahnsinn. Wir sind im Kampfmodus mit dem gegenwärtigen Moment.

Und es ist wertvoll, diese Konditionierung und re-aktiven Muster zu hinterfragen. Denn: Sie halten uns in Negativität und im Leid gefangen. 

Vermeidung, Widerstand, Verurteilung, Unterdrückung oder Verdrängung ist für den Körper eine immense Herausforderung und „muss“ kompensiert werden. 

Der Schlaf leidet, die Konzentrationsfähigkeit wird geschwächt, die Immunkraft wird angegriffen, das Herz wird über die Maßen gefordert, die Lebensfreude schwindet, vieles mehr.

Nicht selten flüchten wir in Substanzmissbrauch, übermäßiges Essen, in Abwertungen, in Beschuldigungen, in Konfliktbereitschaft und Rechthaben wollen, in Arroganz und Spaltung. 

Auch die Flucht in die Arbeit und Überaktivität, selbst in der freien Zeit, können Widerstands- bzw. Vermeidungsstrategien sein. In der Regel sind wir uns dieser Verhaltensmuster nicht bewusst. 

Der Körper selbst kompensiert und entwickelt Störungen auf psychischer oder physischer Ebene. Diese schädlichen Auswirkungen versuchen wir mit viel Kraft über lange Strecken zu ignorieren. Wir bemerken es erst, wenn das Leben uns in die Knie zwingt.

Widerstand gegen das, was ist, und den wir selbst unbewusst aufbauen, ist langfristig (wie) die Hölle im eigenen Leben.

Es gibt – zum Glück - einen Ausweg aus diesem Dilemma. 

Wir sind mit der Fähigkeit ausgestattet, jede/r von uns, unsere Aufmerksamkeit mitten in den Schmerz, in die Abwehr oder Enttäuschung, in die Angst und das Unbehagen hinein zu bewegen – mit Akzeptanz und Freundlichkeit für das, was ist - und durch diese hindurch.

Das ist keine leichte Übung. Sie ist schwer. Ja, Schwerstarbeit. Jedoch sie lohnt sich. Denn so entsteht Raum in uns, in dem wir sein können. 
Akzeptanz ist vergleichbar mit der Weite des Himmels in uns. Akzeptanz entspannt. Wir lassen den Widerstand sein. Wir lassen unsere Abwehr für Momente ruhen. 

Wir öffnen uns interessiert für den Moment. Egal, wie unbehaglich er uns erscheint.

In dem Raum, der so entsteht, können wir genauer hinsehen. Wir nehmen eine Beziehung mit dem Ungewünschten auf und darin mit uns selbst. Wir fühlen hinein. 

Wir bleiben mit dem Leben in uns und um uns herum, wie es gerade ist, in Berührung, anstatt uns von dem, was uns nicht behagt oder Schmerz bereitet, durch abwehrende Gedanken abzutrennen.

Wir übernehmen Verantwortung für unsere Reaktionen in Körper und Geist. Wir fühlen und prüfen, welche Auswirkungen sie in uns - und um uns herum - haben.

Indem wir unsere Wunden, unseren Groll, unsere Enttäuschung über das, was ist, da sein lassen, sie erlauben und dem allen Raum geben mit radikaler – kompromissloser – und bestenfalls freundlicher Akzeptanz, verwandeln sie sich und wir uns.  

Wir lernen dadurch eine tiefere Liebe kennen, die in uns selbst immer verfügbar ist. 

Anerkennen, sehen und in Beziehung sein mit dem, was ist, heißt lieben. 

Ein Wanderer: "Wie wird das Wetter heute?"
Der Schäfer: "So, wie ich es gerne habe."
Woher wisst Ihr, dass das Wetter so sein wird, wie Ihr es liebt?"
"Ich habe die Erfahrung gemacht, mein Freund, dass ich nicht immer das bekommen kann, was ich gerne möchte. 
Also habe ich gelernt, immer das zu mögen, was ich habe und bekomme. Deshalb bin ich ganz sicher: Das Wetter wird heute so sein, wie ich es mag." 

(aus dem Buch: Warum der Schäfer jedes Wetter liebt, Anthony de Mello)

Alle Abwehrinstanzen, Emotionen und Geisteszustände - und dazu gehören auch Schmerzen und sorgenvolle Gedanken - können wir als Wetterlagen in uns verstehen lernen, die da sein wollen. Gesehen werden wollen. Die uns etwas Wertvolles lehren wollen. 

Durch unser entschiedenes und freundliches JA und „Sein-mit-dem-was–ist“ und fühlen, wie es ist, können wir unserem Menschsein in seiner Zartheit und Schönheit und Zerbrechlichkeit näher kommen. Wir können uns tiefer ausdehnen in unser ganzes und grenzenlos wertvolles Mensch-Sein – das unweigerlich endet.

Radikale Akzeptanz – und das ist die Paradoxie des Lebens selbst - dieses radikale Annehmen in einem beherzten „JA, so ist es jetzt“ wird zu einer Quelle von mehr Gelassenheit, Gesundheit, Mitgefühl und Weisheit.

Vermeiden oder hinschauen, verurteilen oder verstehen, spalten oder verbinden, hassen oder lieben, widerstehen oder annehmen - wir haben immer die Wahl. 

Die radikalste und bedeutsamste Veränderung geschieht, wenn wir aufhören zu kämpfen.

Wenn wir dem Leben offenherzig, akzeptierend begegnen, so wie es in uns und in allem pulsiert und sich entfaltet. Moment für Moment.

Als Folge davon stellen sich so viel weisere und menschenfreundlichere Prozesse, Lösungen und Handlungen ein, was immer für eine Herausforderung sich dir gerade stellt. 

„Radikale Akzeptanz“ ist eine Praxis im MBSR-Programm, die wir systematisch und kontinuierlich einüben. Sie wirkt erhellend, lösend, beruhigend und befreiend. 

Durch sie kommen wir nach Hause zu uns selbst, mit Mitgefühl für uns selbst und mit dem Leben schlechthin.


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